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Tages Anzeiger: „Einen Job findet nur, wer perfekt passt“

Trotz Fachkräftemangel sind Schweizer Firmen engstirnig bei der Personalwahl. Ohne perfekten Lebenslauf haben Bewerbende keine Chance – vier Betroffene erzählen.

Technischer Redaktor. So heisst der Beruf, auf dem A. die vergangenen 25 Jahre gearbeitet hat, bevor er arbeitslos wurde. Er schrieb Bedienungsanleitungen für Maschinen, recherchierte die technischen Grundlagen und formulierte alles in einer Sprache, die für Kundinnen und Kunden in verschiedenen Ländern verständlich war.

Es ist ein schöner Beruf, den A. gerne weiter ausüben würde. In diesem Beruf sind auch viele Stellen offen. Doch A. hat ein Problem: Er hat kein Diplom. Und so sagten alle Firmen, bei denen er sich in den letzten Monaten beworben hatte: «Nein, danke – trotz langjähriger Erfahrung kommen Sie für uns nicht infrage.»

Viele Stellensuchende erleben auf dem Arbeitsmarkt Ähnliches. Arbeitgeber sind sehr wählerisch bei der Rekrutierung. Arbeitserfahrung, Branchenerfahrung, fachliche Spezialisierung, Ausbildung, Diplome – und oft, wenn auch nicht explizit erwähnt, das Alter: Alles auf der Checkliste muss passen. Erfüllt eine Bewerberin die Kriterien nur zu 90 Prozent, folgt meist die Absage – manchmal schon eine halbe Stunde nach Einreichen des Dossiers.

Von Rundstedt, eine Personalvermittlungsfirma, hat für dieses Phänomen einen Begriff geprägt: «Zero Gap». Wörtlich übersetzt bedeutet er, dass Firmen «null Abstand» dulden zwischen dem, was in einer Ausschreibung festgehalten ist, und dem, was Bewerbende mitbringen. Als Folge dieser Engstirnigkeit werden Kandidaten übergangen, die sich für einen Job durchaus eignen könnten.

Keine Zusage trotz Bilderbuchkarriere

Kandidaten wie etwa B.: ein Digitalisierungsprofi, der in einer Telecomfirma über die letzten Jahre eine Geschäftssparte neu ausgerichtet hat und jetzt eine neue Herausforderung sucht. B. hat eigentlich eine Bilderbuchkarriere hingelegt. Er hat breite Führungserfahrung und kann diverse Managementzertifikate vorweisen. Doch auf seiner Jobsuche trifft er auf ein hartnäckiges Vorurteil: In anderen Branchen, etwa in der Medizintechnik oder in der Industrie, glaubt man nicht, dass jemand aus der Informatik- und Kommunikationsbranche sich als Manager eignet.

So resultierten aus 80 Bewerbungen, die B. seit Mai abgeschickt hatte, gerade einmal zwei Gesprächseinladungen. Das sei frustrierend, sagt B. Und auch ein Rätsel, denn die Fragestellungen rund um die Digitalisierung seien in vielen Firmen dieselben. Trotzdem seien viele Arbeitgeber offenbar nicht bereit, Bewerbende mit branchenfremdem Hintergrund überhaupt erst näher kennen zu lernen.

Warum das so ist, dazu kursieren unterschiedliche Erklärungen. «Zero Gap hat viel damit zu tun, wie die heutigen Rekrutierungssysteme funktionieren», sagt Sibylle Scheiwiller, die bei von Rundstedt die Beratung von Stellensuchenden leitet. «Diese elektronischen Systeme reduzieren die Profile von Suchenden auf objektivierbare Kriterien, damit man sie ohne viel Aufwand abgleichen kann.»

Eine Umfrage, die von Rundstedt 2020 gemacht hatte, ergab, dass 80 Prozent der Unternehmen in der Schweiz digitale Bewerbungsplattformen nutzen. Diese machen automatisch eine Vorselektion und formulieren Antworten auf Bewerbungsschreiben. Aus Effizienzgründen ergebe dies Sinn, sagt Scheiwiller. Doch manchmal gehe so der Blick auf das wirklich Wichtige verloren: die persönlichen Kompetenzen, die Soft Skills und das Potenzial einer Kandidatin.

Allrounder haben es schwer, Quereinsteigerinnen auch

Zu einem gewissen Grad war das wohl schon immer so. Und doch gibt es Unterschiede zu früher, sagt die pensionierte Personalrekrutiererin und Buchautorin Trudy Dacorogna-Merki. «In den Siebziger- und Achtzigerjahren war es normal, dass man als Stellensuchender anrief», sagt sie. «Fast niemand bewarb sich schriftlich.»

In den Neunziger- und Nullerjahren hätten Firmen zunehmend schriftliche Bewerbungen verlangt, immer öfter auch in elektronischer Form. Das habe dazu geführt, dass sich Bewerbungen mehr und mehr gleichen würden. 

Auch viele Stellensuchende empfinden das so. Die Firmen hätten am liebsten «Plug and Play», berichten sie: Kandidatinnen, die genau diese Funktion in genau dieser Branche bereits mehrere Jahre lang innehatten. Die Bereitschaft, sich auf Allrounder und Quereinsteiger einzulassen, sei generell gering.

Damit kämpfen Leute wie C. Sie hat Kunst und Kommunikation studiert, für ihre Dissertation ein Informatikprojekt auf die Beine gestellt und als Freelancerin das Design von Webseiten verbessert.

Das Problem sei, dass Firmen dieses Profil als zu wenig spezialisiert empfinden. «Ich habe mich in meinen Projekten vielfach mit User-Experience-Design auseinandergesetzt», sagt C. «Es gibt aber keinen Eintrag in meinem Lebenslauf, der wörtlich besagt, dass ich User-Experience-Designerin bin.»

Genau das würden Unternehmen in ihren präzise formulierten Stellenbeschreibungen aber verlangen. Möglichen Arbeitgebern hat C. auch angeboten, dass sie anfangs zu einem reduzierten Salär arbeiten würde. Darauf mochte aber niemand eingehen. Gefragt seien Bewerber, die ohne Einarbeitungszeit sofort loslegen könnten.

Per se kann man den Firmen dies nicht übelnehmen. Rosinenpickerei ist aus ihrer Sicht kein Systemfehler – sondern das eigentliche Ziel einer Rekrutierung. Eine Stelle nicht mit der bestmöglichen Kandidatin zu besetzen, wäre Unsinn. Laut Statistik sind die Unternehmen mit ihren Einstellungsstrategien auch nicht komplett falsch unterwegs. Das Matching zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden scheint in der Schweiz jedenfalls gut zu funktionieren – sonst wäre die Arbeitslosigkeit im Vergleich zu anderen Ländern kaum so niedrig.

Die Angst der Recruiter vor dem Fehler

Trotzdem glauben manche Suchende, dass Firmen beim Rekrutieren zu wenig mutig agieren. «Manchen Managern geht es bei einer Einstellung vor allem darum, ja keinen Fehler zu machen», mutmasst eine Person, die bei ihrem früheren Arbeitgeber selbst in Rekrutierungsprozesse involviert war. «So wollen sie verhindern, dass später Kritik aufkommen könnte, wenn sich eine Einstellung im Nachhinein als Flop erweist.» Dennoch komme genau das immer wieder vor – und zwar auch bei Bewerbern, die auf dem Papier ein hundertprozentiger Match waren, also sämtliche Anforderungen erfüllten. Auch bei von Rundstedt glaubt man, dass sich Arbeitgeber mit Zero Gap selbst schaden. «Bewerbende mit einem Lebenslauf, der nicht zu 100 Prozent ins vorgefertigte Schema passt, bringen vielfach frische Perspektiven und neue Ideen ein», sagt Sibylle Scheiwiller. «Davon können Firmen profitieren.»

Das Alter ist ein heimliches Hindernis

An guten Ratschlägen mangelt es den Stellensuchenden nicht. Oft kriegen sie dieselben Tipps: Sie müssten direkt auf künftige Vorgesetzte zugehen und in ihren Bewerbungen explizit den Nutzen herausstreichen, den sie einer Firma bringen könnten. Gerade wenn irgendetwas am Lebenslauf seltsam anmuten könnte – man strebt zum Beispiel einen Branchenwechsel an –, sei dies wichtig.

Doch solche Tipps sind keine Jobgarantie. Und wenn die zwanzigste, fünfzigste oder hundertste Absage kommt, setzen oft die Selbstzweifel ein. Man beginnt, bei allem Zweckoptimismus, die Schuld für den Misserfolg bei sich selbst zu suchen. Nicht selten zu Unrecht. Denn jeder Mensch hat Macken. Wer einen Job hat, wer einen findet und wer nicht: Das ist am Ende auch vom Zufall abhängig.

An einem Punkt hört der Zufall allerdings auf: beim Alter. Das sagen Experten und bekräftigen Stellensuchende, die auf das Karriereende zusteuern. Zu ihnen zählt D. Er ist 60 Jahre alt, Finanzexperte, hat Gelder für Pensionskassen angelegt und vor nicht langer Zeit eine Ausbildung zum Pensionskassenleiter abgeschlossen. Seit einem halben Jahr sucht er einen neuen Job – ohne Erfolg.

D. vermutet, dass sein Alter der Grund dafür ist. «Ich kann das nicht beweisen», sagt D. Denn oft erhalte er auf Bewerbungen gar keine Antwort. Und wenn er bei den Verantwortlichen nachhake, komme als Begründung selten etwas Sinnvolles zurück. «Manchmal heisst es dann, ich sei überqualifiziert. Aber ich vermute stark, dass viele Firmen einfach keinen 60-Jährigen einstellen wollen.»

Dass ältere Menschen auf dem Arbeitsmarkt stigmatisiert werden, bestätigt Lioudmila Thalmann. Sie leitet den Zürcher Innopark, ein Coachingangebot für Stellensuchende. «Studien beweisen, dass Ältere nicht weniger belastbar oder flexibel sind als Jüngere», sagt sie. Dennoch sei dieses Vorurteil verbreitet.

Trotz einem Lebenslauf, der eigentlich perfekt auf eine Stelle passen würde, bleiben die älteren Bewerber bei einer Besetzung so aussen vor. Das finden Stellensuchende wie D. ungerecht – und falsch. Er habe sein ganzes Leben gearbeitet, sagt er, habe Steuern gezahlt, Militärdienst geleistet und sich auf der Gemeinde engagiert. «Die Schweizer Wirtschaft klagt dauernd über Fachkräftemangel. Und gleichzeitig lässt sie Menschen wie mich links liegen.»

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