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Outplacement

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NZZ: „Jetzt beginnt das Grosse Zittern“

Die Bildung bietet keinen Schutz mehr vor der nächsten Automatisierungswelle. Erwerbstätige sind zu einem Lohnverzicht von 20 Prozent bereit, um das Risiko eines Jobverlusts auszuschalten.

Hat die künstliche Intelligenz den gleichen Stellenwert wie einst die Erfindung der Dampfmaschine? Jamie Dimon, der Chef der weltgrössten Bank JP Morgan, hat die Frage diese Woche mit einem klaren Ja beantwortet. «Wir sind der festen Überzeugung, dass die Folgen ausserordentlich sein werden und möglicherweise genauso umwälzend wie einige der grössten technologischen Erfindungen der letzten Jahrhunderte», schreibt er in seinem Brief an die Aktionäre.

Dimon vergleicht die Bedeutung der KI mit der Erfindung des Buchdrucks, der Elektrizität oder des Internets. Auch seine Bank nutze die Technologie bereits in Hunderten Anwendungen, etwa im Marketing oder im Risikomanagement. Auch der Tesla-Chef Elon Musk pries diese Woche das Potenzial der KI: Diese werde schon im Jahr 2025 oder 2026 klüger sein als der intelligenteste Mensch.

Was die einen ins Schwärmen bringt, klingt für andere umso bedrohlicher. Denn viele Jobs werden durch die Automatisierung überflüssig. Die Beratungsfirma McKinsey prognostiziert, dass in den USA bis 2030 12 Millionen Erwerbstätige gezwungen sind, in einen neuen Beruf zu wechseln.

Ein aktuelles Beispiel liefert der Paketzusteller UPS: Dieser hat den Abbau von 12 000 der insgesamt 85 000 Jobs im Management angekündigt und den Schritt mit dem Effizienzgewinn durch KI begründet. So erfolge die Berechnung der Preise künftig automatisiert. Die Kuriere dagegen sind von dieser Rationalisierung nicht betroffen.

Know-how verliert abrupt an Wert

Die Entlassungen bei UPS stehen idealtypisch für einen fundamentalen Wandel auf dem Arbeitsmarkt. Lange Zeit waren es primär die einfachen, repetitiven Tätigkeiten, die der Automatisierung zum Opfer fielen – es traf die Blue Collars. Die KI stellt dies auf den Kopf: Stattdessen müssen nun plötzlich die gut qualifizierten White Collars an den Schreibtischen zittern.

Zu den Berufen mit dem höchsten Risiko zählt das amerikanische Pew Research Center Bauzeichner, Buchhalter, Designer, Informatiker, Gerichtsschreiber oder Sachbearbeiter. Als sicher eingestuft werden auf der anderen Seite persönliche Dienstleistungen wie die Kosmetik, die Pflege und Betreuung, Gärtner sowie die Feuerwehr.

«Mit einer guten Ausbildung hatte man bisher die Gewissheit, sich vor den Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt schützen zu können», sagt Stefan Wolter, Professor für Bildungsökonomie der Universität Bern. «Doch die KI hat die Spielregeln radikal verändert: Die neuen Technologien führen dazu, dass das erworbene Know-how in manchen Berufen abrupt an Wert verliert.»

Für die Betroffenen sei ein solcher Jobverlust viel gravierender als eine normale Entlassung: «Wenn eine Berufskategorie flächendeckend verschwindet, so werden diese Leute auch in einer anderen Firma oder Branche keine ähnliche Anstellung mehr finden.»

Doch wie gehen die Beschäftigten mit dieser Bedrohung um? Dies hat Wolter mit einem Forscherteam untersucht. Sein Befund: «Das Aufkommen der künstlichen Intelligenz hat bei den Erwerbstätigen eine massive Verunsicherung ausgelöst. Wir beobachten eine stark verbreitete Befürchtung, dass der technologische Fortschritt die beruflichen Qualifikationen entwertet oder gar zum Verlust des Arbeitsplatzes führt.» Konkret zeige die Studie, dass Arbeitnehmer zu einem Lohnverzicht von 20 Prozent bereit seien, wenn ihr Beruf im Gegenzug weniger leicht wegrationalisiert werden könne.

Wolter stuft diese Zahl als sehr hoch ein: «Wir haben in unserer Studie ebenfalls gemessen, auf welchen Lohn die Testpersonen verzichten, wenn sie dafür eine Hierarchiestufe aufsteigen können. In einem solchen Fall wollen sie lediglich eine Lohnreduktion von 2 Prozent hinnehmen. Der subjektive Nutzen wäre für sie also um ein Vielfaches geringer.»

Die Furcht vor dem Abstieg

Wie kommen die Ökonomen zu diesen Daten? «Es bringt wenig, die Leute danach zu fragen, wie gross ihre Angst vor einem Stellenabbau ist», erklärt Wolter. Deshalb habe er mit seinem Team bei 6000 Leuten ein Wahlexperiment durchgeführt. «Ausgehend von einer 40-jährigen Person haben wir verschiedene Varianten durchgespielt, in denen jeweils die Jobsicherheit und der Lohn variierten. Dadurch konnten wir die Zahlungsbereitschaft für einen sicheren Beruf messen.»

Das Alter von vierzig haben die Forscher nicht zufällig gewählt: Denn in dieser mittleren Lebensphase kann man dem Risiko der Automatisierung nur schlecht entgehen. Junge Menschen hingegen können mit ihrer Berufswahl besser darauf reagieren. Tatsächlich zeigt eine neue Studie von Wolter, dass die KI die Präferenzen bei der Lehrstellensuche bereits beeinflusst.

Die starke Verunsicherung, welche die künstliche Intelligenz auslöst, hat laut Wolter weitreichende Folgen: «Die Furcht der Erwerbstätigen vor dem beruflichen Abstieg zeigt ihr Bedürfnis, vermehrt in die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen zu investieren.» Doch selbst wenn Angebote zur Umschulung bestehen: «Die Hürde, um im fortgeschrittenen Alter nochmals auf Feld eins zu starten, ist hoch.»

Die Wirtschaft müsse deshalb ihre Rekrutierungspraxis für Quereinsteiger überdenken, so die Kritik des Bildungsökonomen. Der Personalexperte Pascal Scheiwiller bestätigt: «Die Mobilität zwischen den verschiedenen Berufen und Branchen ist in der Schweiz sehr klein. Wir haben keine Quereinsteigerkultur», sagt der Chef der Outplacement-Firma von Rundstedt.

In den Firmen herrscht laut Scheiwiller eine Zero-Gap-Mentalität: «Viele Arbeitgeber scheuen sich, fähige Leute einzustellen, wenn sie diese für eine längere Zeit einarbeiten müssen. Stattdessen suchen sie nach dem vermeintlich perfekten Profil und Lebenslauf – notfalls im Ausland.» Dieser Mangel an Flexibilität und Investitionsbereitschaft führe dazu, dass das Potenzial der Erwerbstätigen nur ungenügend ausgeschöpft werde.

Neue Fähigkeiten sind gefragt

Auch das Schulsystem müsse dem technologischen Wandel besser Rechnung tragen, so die Forderung Scheiwillers. «Weil die Halbwertszeit des erworbenen Wissens immer kürzer wird, sollte die Vermittlung der Future-Skills mehr Gewicht erhalten – dabei handelt es sich um übertragbare Fähigkeiten wie die Lernkompetenz, das Aufbauen eines Netzwerks oder das Selbstmanagement.»

Der Vormarsch der KI stellt nicht nur die Bildung vor eine Herausforderung. Stefan Wolter erwartet ebenso einen zunehmenden Druck auf die Sozialpolitik. «Die hohe Zahlungsbereitschaft, welche die Menschen für einen sicheren Arbeitsplatz aufbringen, dürfte sich auch in ihren politischen Präferenzen niederschlagen: Anliegen wie höhere Mindestlöhne, ein ausgebauter Kündigungsschutz oder die Einführung von Importzöllen könnten an Popularität gewinnen.» Das deutliche Ja der Stimmbürger zur 13. AHV-Rente passt ebenfalls in dieses Muster.

Bei früheren Automatisierungswellen sei die Schweiz glimpflich davongekommen, betont Wolter. «Weil unsere Wirtschaft nicht in der Massenproduktion, sondern vor allem bei qualitativ hochstehenden Gütern stark ist, war sie nur wenig von den Rationalisierungen betroffen.» Doch mit der künstlichen Intelligenz werden die Karten neu gemischt. Selbst ein Akademiker mit besten Qualifikationen muss womöglich wieder von vorn anfangen – wenn er das Pech hat, den «falschen» Beruf erlernt zu haben.

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