Das Nein zur Renten-Initiative war wuchtig. Wohl auch aus Solidarität mit Über-55-Jährigen, die bei der Arbeitssuche Mühe bekunden. Die Arbeitgeber versprechen Besserung. Doch ein Beobachter ist skeptisch, ob tatsächlich ein Sinneswandel in Gang kommt.
Regina Brenner (57) sucht seit bald zwei Jahren einen Job – erfolglos. «Liegt es an meinem Alter?», fragt sie sich. René Handschin (61) ergeht es ähnlich. «Ich glaube nicht mehr an den Fachkräftemangel», sagt er konsterniert. Immer wieder berichten Über-55-Jährige im Blick von ihrer harzigen Stellensuche.
Da überrascht es kaum, dass das Schweizer Stimmvolk am Sonntag die Renten-Initiative deutlich bachab geschickt hat. Wenn Arbeitgeber sich bereits zieren, Über-55-Jährige einzustellen, wer soll die Leute dann erst bis 66 oder noch länger beschäftigen? «Es ist ein Widerspruch, dass die Arbeitgeber auf der einen Seite das Rentenalter erhöhen wollen, es den Über-55-Jährigen bei der Jobsuche aber auf der anderen Seite schwer machen», stellt Pascal Scheiwiller (50) fest. Er ist CEO der Outplacement-Firma Rundstedt, die Arbeitnehmenden nach der Kündigung bei der Stellensuche hilft.
Dass die Zustimmung zur 13. AHV-Rente bei den 50- bis 64-Jährigen überdurchschnittlich hoch ausfiel, kann als Zeichen für Egoismus gelesen werden – oder als Zeichen der Verunsicherung. Arbeitslosigkeit und Aussteuerung betreffen prozentual zwar nur einen kleinen Teil aller Arbeitskräfte. Doch viele fürchten sich davor.
Ältere Arbeitnehmer sind aufgrund der höheren Pensionskassenbeiträge nicht nur teurer als jüngere – sie sind zusätzlich auch mit Vorurteilen konfrontiert. «Es scheitert auch am Mindset», sagt Severin Moser (61), Präsident des Arbeitgeberverbandes. Älteren Arbeitnehmenden wird etwa nachgesagt, sie würden nicht mehr so schnell lernen. «Dafür haben diese Leute einen riesigen Erfahrungsschatz, das ist auch ein Vorteil.»
Löst sich das Problem von allein?
Er ist zuversichtlich, dass die Arbeitgeber ihre Vorurteile gegenüber älteren Bewerbern bald ablegen – ob sie wollen oder nicht. «Firmen werden in Zukunft froh sein müssen, überhaupt noch Personal zu finden, egal ob die Person 60 ist oder 30», so Arbeitgeber-Präsident Moser.
Denn der demografische Wandel führt nicht nur zu Lücken in der Finanzierung der Altersvorsorge, sondern auch im Arbeitsmarkt: 300’000 bis 500’000 Arbeitskräfte – je nach Schätzung – werden der Schweizer Wirtschaft bereits in wenigen Jahren fehlen. Derzeit hat der Fachkräftemangel wegen der schwachen Wirtschaftsentwicklung zwar gerade Verschnaufpause. Doch das ist höchstens ein kurzfristiger Effekt.
Arbeitsmarkt-Experte Scheiwiller ist skeptisch, ob der Wandel in der Praxis wirklich so schnell vonstattengeht. Die Altersguillotine sei seit mehr als zehn Jahren Thema. «Zuerst haben die Arbeitgeber das Problem ignoriert», sagt er. «Dann haben sie es kleingeredet und jetzt betreiben sie PR.» Viele Betriebe würden sich nun auf die Fahne schreiben, besondere Programme für Über-50-Jährige im Angebot zu haben. «Aber was es wirklich braucht, ist die Erkenntnis, dass ältere Arbeitnehmer kein Risiko sind, sondern eine Chance», sagt Scheiwiller. «Ich vermisse den Willen und die Bereitschaft der Arbeitgeber, daran wirklich etwas zu ändern.»
Für Betroffene wie Regina Brenner und René Handschin sind diese Worte eine Wohltat. Wahrlich geholfen ist ihnen aber erst, wenn Arbeitgeber ihren Bewerbungen eine Chance geben. Trotz ihres Alters – oder gerade deswegen.