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Outplacement

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Tagesanzeiger: „Über 50 und arbeitslos“

Menschen über 50 tragen auf dem Arbeitsmarkt oft ein Etikett: zu alt, zu teuer. Ihnen wird häufiger gekündigt als anderen Altersgruppen. Sie haben es schwerer, einen neuen Job zu finden. Es dauert bei ihnen zudem länger, bis sie wieder arbeiten. Und wenn sie sich umschulen lassen, landen sie häufig in ungeliebten Jobs mit Stundenlohn. Gleichzeitig herrscht in der Schweiz Fachkräftemangel. Wie kann es sein, dass Menschen über 50 keine Jobs finden, obwohl sie gerne mehr arbeiten würden? Drei Betroffene erzählen ihre Geschichte.

— Bernhard Moser (61): «Dreimal arbeitslos in den letzten zehn Jahren»
Es lief gut für Bernhard Moser, als er noch jünger war. Der gelernte Informatiker arbeitete 15 Jahre lang bei einer Versicherung und mochte seinen Job. Doch dann beschloss das Unternehmen eine Reorganisation. Moser war damals knapp über 50 Jahre alt und «stand auf der Abschussliste»,wie er erzählt.


Als die Kündigung eintraf, wehrte er sich, weshalb sein Arbeitszeugnis «nicht sehr positiv» ausgefallen sei. Zwei Jahre lang suchte er eine neue Stelle – erfolglos. «Ich wurde nicht einmal zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen.» Dann vermittelte ihm das RAV einen Informatikerjob. «Die Firma war weit weg von meinem Wohnort, und es gab fast nichts zu tun, aber ich musste die Stelle annehmen.»
Zwei Jahre lang arbeitete er dort, dann wurde ihm erneut gekündigt. Er war Mitte fünfzig. «Danach ging es wieder los mit dem Suchen und Bewerben und den Absagen.» Moser versuchte, etwas ganz anderes zu machen, und eröffnete ein kleines Restaurant zusammen mit einem befreundeten Koch.
Nach zwei Jahren zerstritten sie sich, und Moser stieg aus, enttäuscht über den Bruch mit seinem Freund. Er fand anschliessend eine Arbeit als Bierbrauer, die ihm gefiel. Aber weil der Job körperlich anstrengend war, wollte er nach zwei Jahren auf 80 Prozent reduzieren. «Als ich dieses Bedürfnis anmeldete, stellte mich der Arbeitgeber von einem Tag auf den anderen raus.»


Moser war 58 und wieder arbeitslos. «Ich stand erneut vor dem Nichts.» Er schüttelt den Kopf und sagt: «Ich bin kein gewiefter Netzwerker, der viele Beziehungen hat und darum überall reinkommt.» Danach versuchte er, nach Brasilien auszuwandern, merkte aber: «Bis zur Pensionierung fehlen noch ein paar Jahre.» Heute ist er 61 und arbeitet im Stundenlohn für einen Sicherheitsdienstleister. Im Monat Februar hat er einen Einsatz von 12 Stunden, im März sind es 140 Stunden. «Das rüttelt mich völlig durch, aber ich bin froh um die Arbeitsstelle.»

— Peter Haeberlin (59): «Eine Reorg – und zack, weg bist du!»

Eine zehnjährige Odyssee, geprägt von Outsourcing und Reorganisation. So bezeichnet Peter Haeberlin die Zeit, als er mit Anfang 50 einen Job suchte. Ihm war nach 12 Jahren bei einem Finanzdienstleister gekündigt worden. «Später merkte ich, dass die Ü-50 gezielt aussortiert werden», sagt der gelernte Buchhalter. «Plötzlich heisst es: Wir machen eine Reorganisation – und zack, dann bist du weg.» Dass sich einer jahrelang für ein Unternehmen eingesetzt habe, zähle dann plötzlich gar nichts mehr.
Die Erfahrung, in diesem Alter eine Stelle zu suchen, sei «bitter» gewesen, erzählt Haeberlin. «Personalvermittler beschieden mir, sie hätten für jede offene Funktion genügend 40-Jährige.» Als Ü-50 komme man bei gewissen Firmen gar nicht erst rein, es gebe einen Altersfilter.


Haeberlin hat mehrere Erklärungen dafür. Einer der Gründe: Ältere Arbeitnehmende seien wegen der Pensionskasse zu teuer. Aber es fehle vielerorts auch der Wille, älteren Mitarbeitenden eine Chance zu geben. «Ohne eigene Mühen passiert nichts, aber von Arbeitgeberseite erwarte ich Handeln, nicht Jammern.»


Die Unternehmen müssten sich nun anstrengen, findet Haeberlin. Erstens müssen sie sich um den Nachwuchs kümmern und Ausbildungsplätze sowie Lehrstellen schaffen. Zweitens müssen sie alles daransetzen, um die Ü-50 im Erwerbsleben zu halten. «Der Babyboomer-Knick auf dem Arbeitsmarkt kommt unweigerlich.»


Haeberlin hat mit 55 Jahren noch ein Nachdiplomstudium gemacht. Er kritisiert: «Heute braucht es für jeden Handgriff ein eigenes Diplom.» Allerdings bereut er seine Zusatzausbildung nicht, denn so hat er mit 56 noch eine gute Stelle gefunden.


Er arbeitet heute bei einem Technologiekonzern, der explizit auch ältere Mitarbeitende anstellt. «Ich bin froh, dass ich diese Stelle gefunden habe, weil ich aus meinem Umfeld viele Beispiele von qualifizierten Leuten kenne, die im Alter in eine wirtschaftliche Notlage geraten sind.» Haeberlin fordert: «Ein Drittel der Schweizerinnen und Schweizer tritt frühzeitig in den Ruhestand. Das zeigen die Zahlen des Bundesamts für Statistik. Aber: Viele dieser Rentnerinnen und Rentner scheiden unfreiwillig aus dem Arbeitsle-ben aus. 39 Prozent aller Kündigungen im letzten Jahr betrafen über 50-Jährige. Die Quote ist damit signifikant höher als bei den anderen Altersgruppen. Die durchschnittliche Suchdauer für Menschen über 50 liegt derzeit bei mehr als sechs Monaten. Auch dieser Wert liegt signifikant höher als bei anderen Altersgruppen.


Manche finden schliesslich einen Job, andere werden irgendwann ausgesteuert. Mitarbeitende sollen anständig behandelt werden.»


— Anna Müller (59): «Die Wertschätzung für ältere Arbeitnehmende fehlt oft»
Sie war viele Jahre als Dekorationsgestalterin im Detailhandel tätig. In ihrer Kaderfunktion bildete sie insgesamt mehr als dreissig Lernende aus. «Als ich 58 war, kam es zu einer Reorganisation. Die Hälfte des Kaders im Konzern wurde entlassen.» Es traf viele langjährige Mitarbeitende. Auch Anna Müller, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will, weil sie «nicht bemitleidet» werden wolle. Arbeitslosigkeit, findet sie, sei oft ein Tabu. Doch man müsse darüber sprechen – über den Umgang mit älteren Arbeitnehmenden und über verzerrte Zahlen.


«Ich tauche nicht auf in der Arbeitslosenstatistik, weil ich auf Arbeitslosenentschädigung haben.
Arbeitsmarktexperte Pascal Scheiwiller schätzt unter Berücksichtigung von Ausgesteuerten und Unterbeschäftigten die Zahl der über 50-Jährigen auf Stellensuche auf derzeit etwa 132’000 Menschen. Die Zahl unterscheidet sich von den Angaben des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). Dieses weist im Januar 2023 eine Zahl von 52’878 Stellensuchenden über 50 aus. In dieser Zahl sind die ausgesteuerten Personen, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld mehr haben, aber nicht vertreten. Zudem bildet die Zahl auch all jene Personen nicht ab, die sich umschulen lassen oder einem Zwischenverdienst nachgehen.», sagt sie. Vier Stunden pro Woche leistet sie Betreuungsarbeiten für Familien mit autistischen Kindern, die Begleitung brauchen, und einen Tag arbeitet sie in einem karitativen Secondhandladen. So gehe es vielen Ü-50 aus ihrem Umfeld, sagt sie. «Die Zahlen zeigen nicht das ganze Bild – wir haben ein Problem in der Schweiz.»


Im Stundenlohn arbeitet sie, weil sie nach ihrer Kündigung keine Vollzeitstelle in ihrem angestammten Beruf gefunden hat. Teilzeitstellen im unteren Lohnbereich, die nicht berufsbezogen und nicht pensionskassenpflichtig sind, bekomme man eher als Ü-50. Alles andere sei schwierig. «Von einem Vollzeitpensum auf null – das war hart, das setzt einem auch psychisch zu», erzählt sie.
Noch nie zuvor sei sie arbeitslos gewesen. «Ich war immer gerne berufstätig.» Auch wenn sie zuletzt merkte, dass es an Anerkennung mangelte. «Die Wertschätzung für ältere Arbeitnehmende fehlt oft.» So habe sie am Schluss die kreativsten Inszenierungen machen können, ohne dass es zur Kenntnis genommen worden sei. Alle würden immer davon sprechen, das Pensionsalter zu erhöhen, aber man müsse auch Arbeitsplätze für die über 50-Jährigen anbieten und diese anständig behandeln.
Und wie geht es jetzt weiter? «Ich bin beim RAV und schicke brav jeden Monat meine Bewerbungen ein.» Dass sie noch eine passende Stelle findet, hält sie für wenig wahrscheinlich. Auch wenn sie ein Coaching erhalten hat, um zu lernen, wie man gute Bewerbungen schreibt. «Ich fühle mich ausrangiert auf dem Arbeitsmarkt.»

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