NZZ: „Bachem benötigt auf einen Schlag 700 zusätzliche Mitarbeiter“

Das Chemieunternehmen profitiert von der boomenden Nachfrage nach Medikamenten gegen Fettleibigkeit.

Beim Baselbieter Chemieunternehmen Bachem sieht man sich gerne als eine grosse Familie. Im Kalender der Firma gehört die Weihnachtsfeier für die Mitarbeiter zu den jährlichen Fixpunkten. Man ist stolz darauf, dass sämtliche Darbietungen von den eigenen Leuten stammen – wie an einem echten Familienfest eben. Und ebenso sind Absenzen verpönt.

Vergangenen Dezember folgten laut dem Unternehmen 1200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Einladung. Damit waren fast alle der heute rund 1300 Beschäftigten, die ihren Arbeitsplatz am Hauptsitz in Bubendorf haben, an der Feier vertreten. Allerdings war der Kreis der Mitarbeiter erstmals zu gross, als dass auch ihre Partnerinnen und Partner mitfeiern durften. Man habe zwar einen extragrossen Saal der Messe Basel gebucht, doch für weitere Gäste habe der Platz leider nicht gereicht, sagte Kuno Sommer, der Verwaltungsratspräsident von Bachem, an einem Medienanlass der Firma in Bubendorf. «Vielleicht gab es aber neue Partnerschaften unter den Mitarbeitenden», fügte er augenzwinkernd hinzu.
Sommer, der sonst kaum vor Journalisten auftritt, zeigte sich zusammen mit dem Konzernchef Thomas Meier gut gelaunt bei der Vorstellung der Firma. Das Unternehmen, das weltweit rund 1800 Beschäftigte zählt und nach wie vor zu rund 58 Prozent von seinem Gründer Peter Grogg und dessen Familie kontrolliert wird, wächst schnell. Allein am Hauptsitz Bubendorf sollen in den nächsten Jahren zusätzliche 700 Personen eingestellt werden.

Der Umsatz hat sich verdoppelt

Bachem ist als Auftragsfertiger für Kunden aus der Pharmabranche tätig und auf die Herstellung von Peptiden spezialisiert. Diese kleinen Aminosäureketten finden in der Herstellung von Medikamenten gegen Krebs, Diabetes und neuerdings auch zur Behandlung von Fettleibigkeit breite Verwendung. «Bei Peptiden ging es der Industrie noch nie so gut wie jetzt», sagte Meier.

Der Umsatz von Bachem hat sich allein in den zurückliegenden fünf Jahren verdoppelt – von rund 260 auf fast 532 Millionen Franken. Analytiker der Credit Suisse rechnen 2023 mit einer weiteren Steigerung von 7 Prozent auf knapp 570 Millionen Franken. Bis 2026 erwarten sie gar eine weitere Verdoppelung auf über 1 Milliarde Franken.

Die kühnen Prognosen, die von anderen Marktbeobachtern geteilt werden, beruhen vor allem auf Verträgen, die Bachem im Verlauf der vergangenen 14 Monate mit neuen Abnehmern abgeschlossen hat. In einem Fall wurde eine Zusammenarbeit mit dem Pharmakonzern Eli Lilly besiegelt. Die amerikanische Firma verspricht sich aus der Vermarktung ihres neuen Präparats Mounjaro gegen Fettleibigkeit milliardenschwere Umsätze.

Anders als ihr dänischer Konkurrent Novo Nordisk, der mit zwei vergleichbaren Produkten schon auf dem Markt ist, wartet sie aber noch auf die Freigabe durch die Zulassungsstellen in den USA und in Europa. Diese wird bis Ende diesen Jahres erwartet. Zwei weitere Grossaufträge wurden von Kunden akquiriert, deren Identität Bachem nicht preisgibt. Die daraus abgeleiteten Umsatzvolumen deuten aber zumindest teilweise ebenfalls auf eine Verbindung zum Markt der Therapien gegen Fettleibigkeit hin.

Dank diesen «strategischen» Verträgen seien die Geschäfte von Bachem für die nächsten zehn Jahre gesichert, sagte Sommer. Die riesigen Volumen, deren Herstellung das Unternehmen seinen Kunden zugesichert hat, sind aber auch eine beträchtliche Bürde. Weil sie mit den bestehenden Anlagen keinesfalls produziert werden können, muss Bachem rasch zusätzliche Kapazitäten bereitstellen. Ein weiteres Produktionsgebäude mit einer Gesamtfläche von knapp 16 000 Quadratmetern befindet sich in Bubendorf denn auch bereits im Bau. Es soll 2024 in Betrieb genommen und bis 2026 erweitert werden. Kostenpunkt: insgesamt 360 Millionen Franken.

Die Finanzierung dieser Investitionen hat sich Bachem im Rahmen zweier Kapitalerhöhungen gesichert, die dem Unternehmen 2021 und im vergangenen März insgesamt fast 700 Millionen Franken einbrachten. Ein Teil des Erlöses ist auch für den Ausbau ausländischer Standorte, an denen Bachem zurzeit weitere gut 500 Mitarbeiter beschäftigt, sowie für die Errichtung eines komplett neuen Werks im aargauischen Fricktal (Sisslerfeld) bestimmt.

Im Sisslerfeld, das auf dem Boden der Gemeinde Eiken liegt, hat Bachem vor kurzem 155 000 Quadratmeter Land erworben. Der erste Teil der Fabrik dürfte allerdings nicht vor 2030 in Betrieb gehen.
Als wachstumsstarkes Unternehmen geniesst Bachem unter Anlegern seit Jahren grosses Vertrauen. Das hat die Kapitalbeschaffung vergleichsweise einfach gemacht. Eine andere Herausforderung ist indes, die geplanten zusätzlichen Produktionskapazitäten nicht nur rechtzeitig fertig zu erstellen, sondern auch mit den nötigen Mitarbeitern auszustatten.

Fachkräfte werden in der Industrie weltweit stark nachgefragt. Besonders gross ist der Bedarf im boomenden Life-Sciences-Sektor, dem Bachem als Zulieferer der Pharmabranche angehört. «Wir bewegen uns klar in einem Arbeitnehmermarkt», sagt Cedric Fankhauser, Mitinhaber der Basler Personalvermittlungsfirma Fankhauser Mangold, die stark auf die Life-Sciences-Branche ausgerichtet ist.

Zu den 700 Mitarbeitern, die Bachem für den Ausbau in Bubendorf benötigt, könnten mittel- und längerfristig bis zu 3000 im Sisslerfeld dazukommen. Weil es sich bei beiden Standorten um Produktionsbetriebe handelt, wird von vielen Beschäftigten erwartet, dass sie im Schichtdienst arbeiten. Das erschwert die Rekrutierung zusätzlich, denn vor allem Nachtschichten, aber auch Einsätze an den Wochenenden sind bei Arbeitnehmern in der Schweiz zunehmend weniger gefragt, wie Arbeitgeber immer wieder beklagen.

Das grösste Handicap von Bachem ist aber, dass es der Firma selbst in der Region Basel an Bekanntheit mangelt. Sie hat längst nicht dieselbe Ausstrahlung wie die beiden grossen Medikamentenhersteller Novartis und Roche sowie die Lonza-Gruppe, die ebenfalls als Auftragsfertiger für Kunden aus der Pharmaindustrie tätig ist.

In der Branche gilt es zudem als offenes Geheimnis, dass Beschäftigte von Bachem weniger verdienen als Mitarbeiter in vergleichbaren Positionen bei den Basler Pharmamultis. Die Unterschiede seien relevant, bestätigen mehrere angefragte Personalvermittler.

Zugänge von Novartis

Bachem könne im Gegensatz dazu nach wie vor mit einem familiären Anstrich punkten, sagt Jean-Luc Niedergang, Leiter der Basler Geschäftsstelle des Outplacement-Spezialisten von Rundstedt. Auch die Aufbruchstimmung, die bei der Firma herrsche, sei ein positiver Faktor.

Von Rundstedt ist ähnlich wie Fankhauser Mangold darauf spezialisiert, Fachkräfte und Kaderleute vom einen Arbeitgeber zum nächsten zu vermitteln. In der Life-Sciences-Branche profitieren solche Firmen davon, dass im Zuge von Restrukturierungen bei Grosskonzernen immer wieder Leute frei werden. So hat Novartis im Juni 2022 den Abbau von bis zu 1400 Arbeitsplätzen in der Schweiz über einen dreijährigen Zeitraum angekündigt.

Eine ganze Reihe Betroffener, so ist aus der Branche zu hören, soll bereits zu Bachem gewechselt sein. Bestätigen will das beim Baselbieter Unternehmen niemand. Man habe in der Vergangenheit aber immer wieder von Zugängen aus dem Kreis grosser Pharmafirmen profitiert, sagte der Verwaltungsratspräsident Sommer. Der 66-Jährige hatte seine Karriere in den späten 1980er Jahren selbst bei Roche gestartet.

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