HR-Abteilungen reden gern über «Future-Skills». De facto spielen diese bei Bewerbungen aber kaum eine Rolle. Mehr als die Hälfte der Recruiter und Firmen holt über persönliche Kontakte Informationen zu den Bewerbern ein, obwohl solche Anfragen rechtlich unzulässig sind.
Wer sich um eine neue Stelle bewirbt, kennt die Situation: Man verschickt die sorgfältig zusammengestellten Unterlagen. Dann beginnt das grosse Warten auf eine Antwort, ungeduldig, bange und voller Hoffnung. Sie fühle sich manchmal wie in einem Computerspiel, so beschreibt eine Stellensuchende ihre Erfahrungen. Gewinne ich diesmal oder nicht, sei jeweils ihre Frage.
Verloren hat sie schon einige Male. Festgestellt hat sie dabei, dass sich ihr «bunter» Lebenslauf nicht auszahlt. Sie habe im Berufsleben Verschiedenes ausprobiert und ein breites Wissen erworben. Bei der Stellensuche sei das aber kein Vorteil. Die Unternehmen, so ihr Eindruck, bevorzugten die Lebensläufe ohne Schlaufen. Mit ihrer Kritik trifft die Allrounderin einen wunden Punkt.
«Future-Skills» sind etwas für Sonntagsreden
Tatsächlich wird in der Schweiz konservativ und konventionell rekrutiert. Der formale Lebenslauf ist nach wie vor das Herzstück einer Bewerbung. Ohne ihn ist eine Bewerbung meistens nicht möglich. Die Recruiter konzentrieren sich bei der Auswahl auf die harten und historischen Fakten, anstatt sich mit den zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten zu beschäftigen. Das zeigt eine neue Umfrage zur Rekrutierungspraxis in der Schweiz, die das Outplacement-Unternehmen von Rundstedt bei 936 Personalverantwortlichen und Führungskräften aus der ganzen Schweiz durchgeführt hat.
Die HR-Abteilungen geben sich zwar gerne progressiv. Sie sprechen von «Soft» oder «Future-Skills», natürlich auf English. In den Stellenausschreibungen werden Lernfähigkeit, Agilität und soziale Kompetenz gefordert. De facto spielt dies gemäss Umfrage bei der Auswahl jedoch keine grosse Rolle.
Für die HR-Abteilungen ist dieses Ergebnis alles andere als schmeichelhaft. Ein Grund dafür ist der geringe Einfluss der Personalabteilung in vielen Unternehmen. «Das HR führt aus, was die Fachabteilungen vorgeben», kommentiert der Von-Rundstedt-CEO Pascal Scheiwiller.
Optimierte Lebensläufe: ein offenes Geheimnis
Der starke Fokus auf die Lebensläufe hat Schwächen. Den Personalabteilungen sollte das eigentlich bewusst sein. «Das CV wird angepasst und für die jeweilige Stelle optimiert», sagt Scheiwiller. Sprich: Wenn man zehn verschiedene Bewerbungen verschickt, hat man in der Regel auch zehn verschiedene Lebensläufe produziert. Um wie ein perfektes Puzzlestück zu wirken, betont der Bewerbende je nach Anforderungsprofil diese oder jene Kompetenzen. Dieses Vorgehen ist ein offenes Geheimnis. Dennoch wird die Glaubwürdigkeit der schriftlichen Lebensläufe kaum hinterfragt.
Auf Social Media hingegen wird das eigene Profil nicht auf jede Bewerbung neu zugeschnitten und ist somit konstanter. «Linkedin-Profile sind viel besser abgesichert», meint deshalb der Von-Rundstedt- CEO. Die soziale Kontrolle ist stärker. Stapelt jemand zu hoch, sehen das auch die Kollegen, man verspielt Glaubwürdigkeit.
Ein gewisses Misstrauen gegenüber den Lebensläufen schimmert in der Umfrage dennoch durch. 52 Prozent der Recruiter und Firmen gaben an, «informelle Referenzen von persönlichen Kontakten» zu nutzen. Gemeint ist damit, dass man nicht (nur) die Personen kontaktiert, die explizit als Referenz angegeben wurden. Ohne Wissen bzw. explizites Einverständnis des Bewerbers kontaktieren die Unternehmen stattdessen weitere Personen, um ein realistisches Bild des Bewerbers zu bekommen. Rechtlich gesehen ist das unzulässig. In der Branche gilt dies als Kavaliersdelikt.
Die Realität der Rekrutierung ist widersprüchlich
Insgesamt bleibt das konservative Rekrutierungsverhalten vieler Unternehmen nicht ohne Folgen. Quereinsteiger haben es in vielen Bereichen schwer, die berufliche Mobilität ist eingeschränkt. Weil die Unternehmen im Auswahlprozess weichen Faktoren nur eine geringe Bedeutung beimessen, wird umgekehrt viel Geld investiert, um das vorhandene Personal für seine Aufgaben fit zu machen.
Eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit findet sich auch im Bereich Weiterbildung. Zwar wird von vielen Arbeitsmarktexperten die Bedeutung des lebenslangen Lernens betont. In der Praxis zählen die Weiterbildungen gemäss der Umfrage jedoch nur beschränkt.
Spezifische Weiterbildungen sind bei den zwingenden Anforderungskriterien viel weniger stark vertreten als Altersvorgaben, Sprachkenntnisse oder Branchenjahre. Weder die Qualität noch die Reputation der Bildungsinstitutionen sind von grossem Interesse. Es ist also weitgehend egal, wo jemand einen Bachelor oder ein CAS absolviert hat.
Das alles führt dazu, dass am Ende vor allem Bewerber mit klassischen Fähigkeiten zum Zuge kommen. Die Rekrutierungspraxis in der Schweiz ist widersprüchlich.