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Handelszeitung: „Die Wirtschaft lässt die Generation 50+ links liegen“

Grau, alt, unflexibel und nicht digital – Stereotype zu ü50-Jährigen halten sich hartnäckig. Ü50-Jährige werden eher entlassen, suchen länger nach einem Job und treffen auf Hürden in der Arbeitswelt. Schuld sind Stereotype.

Von Gloom zu Boom – so betitelt die Personalvermittlungsfirma Manpower ihre neue Studie. Gloom symbolisiert die Finsternis, gepaart mit Trübsinn und Schwermut. Der Boom gilt als das Gegenteil: ein Knall, leuchtend und hell, laut und effizient.

Doch wer soll sich vom Gloom zum Boom entwickeln? Antwort: die Boomer. Die «Silver Workforce». Diejenigen, die älter als fünfzig Jahre sind. Sie stehen im Fokus der Studie – und sie stehen auch im Fokus der Arbeitswelt. Die demografische Entwicklung der arbeitenden Bevölkerung kennt nämlich nur eine Richtung: Sie altert. Während sich jedoch die Firmen um die jungen Generationen kümmern und sie mit Angeboten locken, vergessen sie derweil ihre langjährigen Angestellten.

Abbau statt Aufbau der Arbeitskraft

Manpower befragte HR-Verantwortliche und Führungskräfte in Bezug auf ihre älteren Arbeitnehmenden und Angebote für diese. Überraschenderweise antwortete auf die Frage, ob die Silver Workforce ein Thema im Unternehmen sei, nur etwas mehr als ein Drittel mit Ja. Knapp die Hälfte gab an, dass sie kein Thema sei, während 20 Prozent keine Antwort geben konnten oder wollten. Diese Zahlen erschrecken. Sie zeigen, dass sich fast 70 Prozent kaum oder nur wenig um ihre älteren Mitarbeitenden kümmern. Dabei stellen sie den Löwenanteil der Arbeitnehmenden dar.

Laut dem Schweizer Bundesamt für Statistik (BFS) ist das durchschnittliche Alter der Erwerbsbevölkerung seit den 1990er-Jahren von 39 auf 42 Jahre gestiegen. 2022 machten 40- bis 54-Jährige rund einen Drittel der Arbeitskräfte aus. Diese Gruppe wird nun jährlich älter – und dann pensioniert. Entsprechend wird bis 2050 ein Rückgang der Erwerbsquote von 68,3 Prozent auf 62,7 Prozent erwartet. Wer es nicht schafft, Angestellte langfristig zu halten oder die Stellenprofile anzupassen, wird in einen Hammer laufen.

Doch was machen die Firmen? Die Studie von Manpower zeigt, dass sie statt in die Ausbildung ihrer älteren Angestellten viel mehr auf den Abbau der Arbeitskraft setzen. Das meist offerierte Angebot der Firmen für die Boomer sind Teilzeitmodelle. Dicht darauf folgen flexible Arbeitsmodelle, Frühpensionierungsangebote und Unterstützung bei der Entlassung. Alle zielen darauf ab, dass die Person weniger – oder gar nicht mehr – arbeitet. Talent- und Karrieremanagementmassnahmen finden sich erst auf den letzten Rängen.

Über das Ergebnis zeigt sich auch Susanne Pladeck erstaunt. Sie ist Studienautorin und Senior Consultant Karriereentwicklung bei Talent Solutions von Right Management; die Firma ist Teil von Manpower. «Gerade in Zeiten von Arbeitskräftemangel und der Tatsache, dass teils ein Drittel der Belegschaft der ‹Generation 50+› angehört und in den nächsten fünf bis sieben Jahre in Pension geht, sollten Firmen das Potenzial dieser Altersgruppe erkennen!», sagt sie.

Die Expertin geht gar so weit, die Problematik der Ü50-Jährigen als Diskriminierung zu bezeichnen – aufgrund herrschender Vorurteile: «Die Firmen denken, dass die Älteren nicht mehr lernfähig oder motiviert seien und nur noch auf ihre Pensionierung warteten.» Dabei zeigten genügend Studien das Potenzial von älteren Mitarbeitenden auf. Pladeck nennt ein paar davon: «Verlässlichkeit, Loyalität und das Commitment sind klassische ‹Babyboomer›-Werte. Dazu kommen Lebens- und Erfahrungswissen, soziale sowie emotionale Intelligenz, vernetztes Denken, Stressresistenz und Selbstmanagement.» Eine Lobeshymne also auf das Alter? Das dann doch nicht, eine gesunde Portion Selbstkritik gehöre stets dazu. «Man darf die Alten einfach nicht pauschal kategorisieren», so Pladeck.

Eintritt in die Pensionierung fördert Zweiklassengesellschaft

Das lässt sich auch an einer anderen gesellschaftlichen Entwicklung ableiten. Daten des Bundesamts für Sozialversicherungen zeigen eine auffällige Entwicklung: Während der Anteil der Leute steigt, die sich frühpensionieren lassen, steigt auch der Anteil der Leute, die ihren Rentenbezug über 65 hinaus aufschieben. Zu dieser Entwicklung hat das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) laut der Mediensprecherin Sabrina Gasser keine wissenschaftliche Erklärung. Was sie beim BSV jedoch wahrnehmen, ist dies: «Grundsätzlich zeigen beide Richtungen den zunehmenden Wunsch nach mehr Flexibilität, sowohl nach unten als auch nach oben: weg vom Regelrentenalter hin zu einem Referenzrentenalter.»

Eine andere Erklärung lässt sich in der Wirtschaft beobachten: Hier öffnet sich eine Kluft, es entsteht eine Zweiklassengesellschaft bei den Ü50ern. Diejenigen mit Job – und entsprechenden Möglichkeiten – arbeiten mindestens oder gar über die Pensionierung hinaus. Bei denen, die den Job verlieren, erhöht sich das Risiko markant, dass sie auch keinen mehr finden. Im Worst-Case-Szenario werden sie gar ausgesteuert, im Falle der Ü60-Jährigen nehmen sie die 2021 in Kraft getretene Überbrückungsleistung bis zur Rente in Anspruch.

Der Anteil Frühpensionierter wie auch Spätpensionierter steigt

Die Grafik zeigt die Gesamtzahl der Pensionierten pro Jahr. Dazu stehen im Verhältnis die weiblichen und die männlichen Frühpensionierten (bis zwei Jahre Vorbezug) sowie Spätpensionierten (bis fünf Jahre Spätbezug).

Bei den Frauen galt bis zum Jahrgang 1947 ein Kürzungssatz von 3,4 Prozent, entsprechend bezogen diese ihre Pension früher. Nach der Erhöhung des Kürzungssatzes auf 6,8 Prozent glich sich die Vorbezugsquote derjenigen der Männer an und steigt seither im ähnlichen Tempo.

Die Quote der Spätbezüger steigt bei Frauen und Männern symmetrisch an.

Dass diese Situation die Realität ist, weiss Pascal Scheiwiller. Der CEO der Outplacement-Firma Rundstedt beschreibt die paradoxe Entwicklung folgendermassen: «Der demografische Druck wächst, über 65 hinaus zu arbeiten, aber gleichzeitig wird es ab 55 immer schwieriger, eine Festanstellung zu finden.» Im Jahr 2022 haben 39 Prozent der ausgesprochenen Kündigungen die Gruppe der Ü50er betroffen, obwohl die Referenzgrösse der arbeitenden Ü50-Jährigen bei 31 Prozent liegt.

«Das ist eine unschöne Entwicklung. Aber sie verursacht keinen Aufschrei, weil die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt allgemein sehr gut sind und es auch Leute über fünfzig Jahren einfacher haben, eine Stelle zu finden», erläutert Scheiwiller. Seit dem Jahr 2016 hat sich die durchschnittliche Dauer der Jobsuche dieser Gruppe zwar von acht auf sechs Monate verkürzt, doch wer das Thema auf der Berufsplattform Linkedin verfolgt oder sich mit Stellensuchenden austauscht, dem wird schnell klar, dass es doch nicht so einfach ist.

Die Lösung – oder immerhin ein Teil davon

In den Worten einer Stellensuchenden bei Manpower zeigt sich die Situation denn auch folgendermassen: «Ich bin über fünfzig. Ich habe keine grauen Haare, aber einen MBA, einen Bachelor-Abschluss und ein CIM-Diplom. Ich spreche drei Sprachen, habe einen Digital-Award gewonnen, bin fit und trete beim Triathlon an. Derzeit bekomme ich keinen Job, nicht einmal Einladungen zum Vorstellungsgespräch. Und wenn, soll ich nicht so viel wie mein letztes Gehalt bekommen. Der Grund: Ich bin eine Frau über fünfzig. Man erwartet, dass ich weniger aktiv lebe und schneller erschöpft bin. Doch das bin ich nicht!»

So wie ihr ergeht es vielen auf dem hiesigen Jobmarkt. Eine allgemeine Lösung, um den in Firmen vorherrschenden Stereotypen zu entgehen, gibt es nicht. Immerhin existieren Ansätze. So appelliert einerseits Susanne Pladeck von Manpower an die Generation selber: «Ältere Mitarbeitende lassen sich teils selbst in eine Ecke drängen und übernehmen die genannten Stereotypen, statt dass sie ihr Unternehmen proaktiv auf ihre Kompetenzen und Fähigkeiten aufmerksam machen und aktiv um Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten bitten.» Sie empfiehlt, dass sich Ü50-Mitarbeitende also bewusst mit ihrem Potenzial und dem Mehrwert auseinandersetzen und die Verantwortlichen von sich überzeugen.

Anderseits heisst laut Pascal Scheiwiller von Rundstedt die Ursache der Problematik Mobilität: «Die Veränderungsdynamik ist heute dermassen hoch, dass sich Jobprofile, Jobumfeld, Anforderungen, Toolumgebung sowie Arbeits- und Firmenstrukturen extrem schnell verändern und immer im Fluss sind.» Wenn also jemand einen Job sucht, dann findet sich höchst selten dasselbe wie im vorherigen Job. Früher waren lineare Karrieren eher an der Tagesordnung – wer einmal Schreiner lernte, arbeitete auch weiterhin als Schreiner. Wer heute einen Beruf lernt, wird sich weiterbilden, ein neues Feld erkunden und am Karriereende eine völlig andere Tätigkeit ausüben als zu Beginn. Und das gilt nicht mehr nur für die ganze Karriere, sondern auch für einzelne Stellen: «Ein Kandidat muss sich sowieso bei jedem Stellenwechsel in eine neue Stelle hineinentwickeln», so Scheiwiller. «Replizieren geht heute nicht mehr.»

Lebenslanges Lernen, lebenslange Ausbildung

Das ist denn auch der Inbegriff des Fachkräftemangels: Es sind zwar Arbeitskräfte vorhanden, doch deren Fähigkeiten stimmen nicht mit den Anforderungen überein. Damit die Älteren nicht in diesen «Mismatch» tappen, helfen vor allem zwei Dinge: Erfahrung und lebenslanges Lernen. Sie selbst sollen in sich investieren, ihre Firmen müssen ihnen Ausbildungen ermöglichen. Nur so kann das Mobilitätsproblem umgangen werden.

Und doch: Auch wenn immer wieder Boomer von Gloom zu Boom gelangen sollten – die Zukunft sieht aktuell im Allgemeinen eher düster aus. Pascal Scheiwiller findet diesbezüglich klare Worte: «Unabhängig davon, ob die Älteren selber veränderungsstark sind oder nicht, bevorzugen die Unternehmen bei neuartigen Stellen, bei welchen es noch keine Erfahrung oder erfahrene Kandidaten gibt, sowieso Jüngere. Ich bin als Älterer also quasi machtlos.»

Erst die Zukunft wird zeigen, ob ein Umdenken stattfindet und Firmen bereit sind, vom Abbau der Arbeitskräfte wegzukommen und in deren Aufbau zu investieren. Denn einen Vorteil hat jede Person über fünfzig gegenüber der jungen Konkurrenz: Sie ist bereits mit dem Getriebe der Arbeitswelt bekannt und entsprechend ein sicherer Wert für eine Firma in unsicheren Zeiten.

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