5000 Motivationsschreiben auf einen Klick: Wer sich effizient um einen Job bemühen will, tut dies mithilfe von künstlicher Intelligenz. Die Personalabteilungen dagegen sind noch nicht so weit.
In Kürze:
- Nicht nur Texte, auch Bewerbungsfotos stammen zunehmend von künstlicher Intelligenz.
- Firmen verwenden automatisierte Systeme zur Filterung von Bewerbungen.
- Noch setzen die wenigsten Recruiter systematisch auf KI-gestützte Dienste
Das Rezept klingt einfach: Lebenslauf, ein früheres Bewerbungsschreiben und den Text aus der Stellenbeschreibung in Chat-GPT laden, und ruckzuck spuckt er einen passenden Bewerbungstext aus. «Diesen muss man ein paar Mal durchschauen, da und dort etwas anpassen – und fertig», sagt ein Student, der sich derzeit für eine erste Festanstellung bewirbt.
Immer mehr Bewerberinnen nutzen auch andere KI-gestützte Dienste wie DeepL-Write oder Claude-AI, um Texte stilistisch in die passende Form zu bringen. Mit Rezi.ai oder Zety.de können sie die Unterlagen strukturieren, und bei Jobs.ch, der grössten Schweizer Jobvermittlungsplattform, erstellt ein sogenannter Motivationsschreiben-Generator in nur einem Schritt ein personalisiertes Anschreiben für die gewünschte Stelle.
Auch für visuelle Elemente kommt zunehmend KI zum Zug. Formalframe.com, ein Dienst aus Adliswil ZH, erzeugt aus hochgeladenen Selfies gleich mehrere Bewerbungsbilder – je nach Wunsch im Büro, festlich, elegant oder mit einem neutralen Hintergrund.
Das hat Folgen für die Firmen. Manchmal würden die Bewerber sogar vergessen, im Text die Schriftzeichen ẞ durch Doppel-s zu ersetzen, schildert eine Personalverantwortliche. «Noch erkennt man meistens sofort, wenn jemand KI verwendet», sagt Pascal Scheiwiller, Chef der Outplacement-Firma von Rundstedt. Es fehlen die persönliche Note und die treffenden Botschaften: KI könne zwar gut als Hilfsmittel verwendet werden, es sei aber entscheidend, dass die Texte personalisiert und qualifiziert seien.
Informatiker verschickt 5000 Bewerbungen mit einem Klick
Doch nicht nur die einzelnen Bewerber, auch die Firmen und Personalabteilungen rüsten auf. Dossiers müssen nicht per Mail eingesandt, sondern über automatisierte Plattformen hochgeladen werden. Bereits die Hälfte aller Schweizer Arbeitgeber nutzen solche. Damit können sie nach spezifischen Kriterien Kandidaten filtern, also etwa «nur Schreinerinnen mit eidg. Fachausweis» auswählen und jenen, die diesen Titel nicht haben, eine automatisierte Absage zustellen.
Welche extremen Ausprägungen die Nutzung von KI in Bewerbungsverfahren annehmen kann, zeigte sich in den USA. Dort hat ein Informatiker letztes Jahr für Aufsehen gesorgt. Mithilfe eines automatisierten Programms reichte er 5000 Bewerbungen «mit einem einzigen Klick» ein.
Tausende Bewerbungen auf einmal einzureichen, sei technisch möglich, jedoch werde diese Praxis in der Schweiz nie erfolgreich sein, sagt Rundstedt-Chef Scheiwiller. «Wir haben eine ganz andere Qualitätskultur.»
Die Digitalisierung hat die Menge an Bewerbungen schon vor vielen Jahren erhöht, da Stellen damit für viel mehr Menschen auf der ganzen Welt zugänglich sind. Nun gibt es durch KI nochmals viel mehr Bewerbungen, jedoch werden diese nicht besser. Das Resultat ist eine Negativspirale: genervte Personalabteilungen und nachlässiges Bewerbermanagement aufseiten der Arbeitgeber, das von den Bewerbern dann wiederum als respektlos und unprofessionell verstanden wird.
Digitale Begeisterung wird zu wichtiger Kompetenz
Werden die Personalabteilungen jetzt deshalb weiter mit KI aufrüsten? Noch sind Schweizer Firmen diesbezüglich zurückhaltend, wie eine breite Befragung ergeben hat, die am Mittwoch vorgestellt wird. Laut den Ergebnissen, die dieser Redaktion teilweise vorliegen, erwarten fast alle Befragten, dass KI in der Rekrutierung sehr wichtig werden wird, besonders bei der Personalsuche, beim Bewerbermanagement und bei der Selektion.
Trotzdem setzen noch die wenigsten systematisch KI-unterstützte Werkzeuge ein. Die Lücke sei frappant, sagt Scheiwiller, dessen Firma die Befragung zusammen mit dem Magazin «HR Today» durchgeführt hat. «Nach wie vor gibt es ein grosses Unbehagen im Umgang mit KI sowie eine Unsicherheit bezüglich des Datenschutzes.»
Dennoch werde sich KI hierzulande rasant ausbreiten – nicht nur bei der Personalsuche. Die Veränderungsdynamik führe dazu, dass heutiges Wissen morgen schon überholt sei, sagt Scheiwiller. Zentral sei deshalb künftig nicht mehr Fachwissen, sondern vielmehr Lernfähigkeit, Problemlösefähigkeiten, Anpassungsvermögen, Neugierde, Flexibilität, Mut und digitale Begeisterung.
Es ist also möglich, dass Personalverantwortliche ein Dossier gerade dann genauer anschauen, wenn sie realisieren, dass dieses zwar persönlich daherkommt, aber vermutlich mithilfe von Chat-GPT und Co. verfasst wurde.